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  • AutorenbildFranziska Stebler

Der gruppendynamische Raum

Aktualisiert: 19. März

Der gruppendynamische Raum ist ein Modell zur Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von gruppendynamischen Prozessen. Wenn wir professionell mit Gruppen arbeiten, als Scrum Master, Agile Coach oder Teams führen als Führungskräfte, ist dieses Wissen Gold wert.


Wer kennt es nicht: Menschen, die mir eben auf dem Gang noch ihre privaten Geheimnisse kundgetan haben, sind im anschliessenden Meeting mir gegenüber zugeknüpft und wirken schon fast missmutig. Es ist, als spricht da eine andere Person. Wie kann das sein?


Durchaus kann das sein, den auf dem Gang im Zweier-Gespräch wirken fundamental andere Dynamiken als in einem Team oder in einem Meeting. Sobald mehrere Menschen zusammen sind, wirkt die Gruppendynamik. Und frei zitiert nach Olaf Geramanis (Professor für Gruppendynamik) "Gruppendynamik ist wie Wetter - es ist immer da und wirkt. Egal, ob wir es bewusst wahrnehmen oder nicht."


Der gruppendynamische Raum besagt im Kern, dass drei Variablen die Dynamik einer Gruppe wirken:


  • Zugehörigkeit (drinnen - draussen, welchen Gruppierungen gehört man an)

  • Macht / Einfluss (oben - unten, wie ist die Macht in der Gruppe verteilt, wer besitzt wie viel Macht)

  • Intimität - (nah - fern, wie nahe und fern sehen sich die Gruppenmitglieder zueinander, wie viel Sympathie empfinden sie füreinander - für einzelne Paar-Beziehungen, aber auch für die Gruppe insgesamt)


Will man die Dynamik einer Gruppe verstehen, so ist es notwendig, die Einflüsse dieser drei Variablen zu verstehen als auch deren Interaktion (gegenseitige Beeinflussung).


Macht / Einfluss

Macht als gruppendynamische Variable bezieht sich auf das Ausmass, in dem eine Person oder Teilgruppierung eines Teams Prozesse steuern und kontrollieren bzw. Einfluss auf Entscheidungen nehmen kann.

Mögliche Diagnosefragen sind:

  • Kann ich persönlich genug Einfluss auf Gruppenprozesse und Entscheidungen ausüben, um die eigene Zukunft im Team in meinem Sinn mitbestimmen zu können?

  • Gelingt es mir, dass Andere mich innerhalb der Gruppe unterstützen?

  • Kann ich genug Steuerung und Kontrolle loslassen, um mich auch von anderen unterstützen, beeinflussen und belehren zu lassen?

  • Kann ich im Team auch delegieren? Kann ich mir ein Stück Verantwortung abnehmen lassen? Inwieweit muss ich mich für alles selbst verantwortlich fühlen?


Zugehörigkeit

Zugehörigkeit bezieht auf die Frage, ob und in welcher Rolle man der betreffenden Gruppe, aber auch anderen Gruppierungen angehört.


Beispielsweise haben Vollzeit-Mitarbeiter häufig andere Interessen, haben andere Wirkung, zeigen andere Verhaltensweisen als Teilzeitmitarbeiter.

Mögliche Diagnosefragen sind:

  • Bin ich in dieser Gruppe (als ein vertrauenswürdiger Mensch) akzeptiert?

  • Werde ich auch dann akzeptiert, wenn ich andere Meinungen oder Positionen vertrete als der Rest der Gruppe?

  • Was ist der Preis des Zusammenhalts in dieser Gruppe?

  • Steigen Motivation und Leistung durch das allmähliche Zusammenfinden und die Annäherung innerhalb der Gruppe?

  • Wenn die Gruppe ihre globalen Ziele fast erreicht hat, wird sich dann die Gruppe einfach auflösen oder wird etwas zurückbleiben (Treffen, Besuche, …)?


Intimität

Intimität bezieht sich auf die soziale Nähe und Distanz der Mitglieder einer Gruppe untereinander. Sie beschreibt, wie nahe wir anderen Menschen kommen wollen bzw. wie weit wir zulassen, dass sich andere uns nähern. Sympathie, Zuneigung, Attraktivität, Wärme, Liebe und auch Sexualität gehören dazu. Es geht darum, wem wir was anvertrauen und andere uns anvertrauen, wie weit andere uns liebenswert erscheinen bzw. „riechen können“ und umgekehrt.

Gruppen mit starkem „Wir-Gefühl“ (Kohäsion) entwickeln ein Bedürfnis nach Nähe und Übereinstimmung. Die Gruppenmitglieder nehmen positiv aufeinander Bezug und betonen die Ähnlichkeiten. Es kann ein Gefühl der Geborgenheit in der Gruppe entstehen. Dann sind die Mitglieder auch bereit, Persönliches oder sogar Intimes mitzuteilen und eine „Grundstimmung von wechselseitiger Anteilnahme und Fürsorge breitet sich aus, die alle Beteiligten geniessen“. Mögliche Diagnosefragen zur Diagnose der Dynamik in Gruppen in Bezug auf Intimität:


  • Sind sich alle in der Gruppe mehr oder weniger gleich nah oder gibt es Unterschiede? Gibt es Normen dafür, bzw. darf es Unterschiede geben?

  • Wie sieht die Rangordnung gegenseitiger Sympathie oder Attraktivität aus? Was bewirkt diese?

  • Überwiegt das Bestreben nach Autonomie und Selbständigkeit (mit Distanz) oder der Wunsch nach Gemeinsamkeit und Hingabe an die Gruppe?

  • Inwieweit entstehen Freundschafts- oder sogar Liebes-Beziehungen? Wie wirkt das auf die Anderen? Inwieweit neigen diese zu Exklusivität?


Diagnosefragen für Scrum Master, Agile Coaches und Führungskräfte:


Mein Team

Zugehörigkeit

  • Wie ist das Zusammengehörigkeits-Gefühl in meinem Team ausgeprägt? Gering oder stark? Ist die Zugehörigkeit zum ganzen Team am deutlichsten ausgeprägt? Oder gibt es Grüppchen mit ausgeprägtem Zugehörigkeitsgefühl?

  • Gehöre ich als Führungskraft zum Team oder stehe ich eher ausserhalb des Teams?

Macht / Einfluss

  • Wie ist der Einfluss der Teammitglieder untereinander ausgeprägt? Ist der Einfluss der Teammitglieder untereinander eher gleich ausgeprägt? Oder gibt es einen informalen Führer? Oder gibt es eine Hackordnung?

  • Wie gross ist mein informaler und formaler Einfluss auf die Gruppe?

Intimität

  • Wie eng stehen die Team- / Gruppenmitglieder untereinander? Gibt es da grosse Unterschiede? Wie könnte das Soziogramm des Teams aussehen?

  • Wie gross ist meine Nähe / Distanz zum Team insgesamt bzw. zu den einzelnen Teammitgliedern?


Diese Fragen und die Antworten können Anhaltspunkte sein, um Wahrnehmung zu schärfen, Spannungen im Team zu lösen und selbst die persönlichen Beziehungen zu den Mitarbeitenden klarer wahrzunehmen. Zusätzlich können es gute Anhaltspunkte für Verhaltensweisen der Teammitglieder sein, die sich dann im Rahmen von persönlichen oder Teamgesprächen zum Beispiel mit der gewaltfreien Kommunikation ansprechen lassen.


Es zeigt sich, dass die Prozessgestaltung, Moderation und Führung von Teams keine simple Sache ist. Im Gegenteil, sie ist komplex, da vor allem nebst der gruppendynamischen Ebene auch die persönliche Ebene der einzelnen Mitglieder immer mitschwingt.


Als Erfahrungsraum für die Gruppendynamik hat sich die T-Gruppe oder Trainingsgruppe etabliert. Sie bietet maximales Erfahrungslernen zum gruppendynamischen Raum, Beziehungen und Feedback geben und nehmen an. Meine Erfahrung zu diesem Lernsetting: schmerzhaft und maximal eingängig. Es hat mich mit mir selbst, meiner Beziehungsqualität und meiner Teamkompetenz konfrontiert und ich konnte viel profitieren für meinen professionellen Umgang mit Teams und Menschen.

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